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Zur besseren Verständlichkeit bezüglich des Videos könnt ihr den Podcast: Lina und Susi: Reden über Refugees anhören. Hier wird die Situation nochmals erklärt.
Situation an der kroatisch-slowenischen Grenze. Lina und Ali sprechen mit Flüchtlingen in Obrežje. Exklusiv Berichterstattung: Lina und Ali wollen sich selbst ein Bild über die genaue Lage machen, packen Jausenbrote und zur notdürftigen medizinischen Versorgung Cremen und Pflaster ein und fahren nach Obrežje.
Weil die beiden größere Ausgaben hatten, die nicht geplant waren (kurzer Gefängnisaufenthalt), wird es in Salzburg demnächst eine Soliparty geben. Termitinitus.org wird euch natürlich rechtzeitig darüber informieren.
Mehr von Lina könnt ihr auf Radio Maxglan hören. Hier ihr neuester Beitrag: "Stadtteilradio Maxglan: Von der Grenze zum Antrag – auf der Flucht in Salzburg"
Auf der Flucht in Europa, September 2015
Ungarn hat einen Zaun zu Serbien errichtet und verteidigt die Grenze unter exzessiver Gewaltanwendung gegenüber Asylsuchenden. Slowenien plustert sich zur Verteidigung der Schengen-Außengrenze auf und hat Flüchtlinge mit Tränengas zurück nach Kroatien gedrängt. Zwischen Belgrad und München gibt es keine Zugverbindungen. Bahnhöfe sind Notunterkünfte, zu denen kaum noch Züge kommen. Kleine Grenzübergänge sind gesperrt. Die Verbindungen Salzburg – München oder Innsbruck – Rosenheim sind quasi abgebrochen. Die Menschen kommen nicht zu ihren Liebsten, nicht zu ihren Asylverfahren und nicht zu ihrer Arbeit. Viele Menschen, die in Salzburg arbeiten, leben in Freilassing und Umgebung, weil dort die Mieten niedriger sind. Die Fahrt vom Bahnhof zur Grenze dauert mit dem Auto statt zehn Minuten über eineinhalb Stunden. Auch der Bus kommt nicht schneller voran. Züge nach Freilassing werden erst ab 04.10.2015 wieder fahren. An der Grenze warten über tausend Menschen tagelang auf Einlass. Dort waren wochenlang nur freiwillige Helfer_innen, ein Wagen des Roten Kreuzes, ein Bundesheer-Jeep und Polizei. Freiwillige kochen und verteilen warmes Essen. Eine Ärztin ist ehrenamtlich im Einsatz. Frauen und Kinder haben ein Lager im Keller des alten leerstehenden Zollhauses. Viele Kinder wurden bereits mit Unterkühlung ins Landeskrankenhaus in Salzburg gebracht. Eine Familie erzählte, sie seien seit einem Jahr auf der Flucht. An vielen Grenzen scheiterten sie, weil ihr Kleiner immer zu weinen begann. Die einzigen zwei Klos im Obergeschoß sind verstopft und überschwemmt, Wasser tropft auf die Menschen im Keller und auf ihre notdüftigen Schlafstätten. Es ist kalt, nass und die Luft ist sehr schlecht. Nirgends gibt es Duschmöglichkeiten. Es warten rund 1500 Menschen auf die versprochene Einreise nach Deutschland. Einige hundert Meter weiter auf der deutschen Seite ist ein Möbellager zur Erstregistrierung und Unterbringung umfunktioniert. Es bietet Platz für 1100 Personen. Am 23.09.2015 waren dort nur elf Personen, während auf der österreichischen Seite etwa 1500 Menschen im und um das Zollhaus warten. Jede Stunde werden 20 Personen durchgelassen. Das sind 480 pro Tag. Am Bahnhof in Salzburg sind weitere rund tausend Personen untergebracht. Täglich werden es mehr. Sie kommen über die Steiermark, das Burgenland oder Kärnten.
Wer es nach Freilassing schafft, wird registriert und von dort innerhalb Deutschlands verteilt. Viele wollen weiter. In den Medien Bilder von unbändigen Menschenmassen. Die tausenden Flüchtlinge sind aber keine Überraschung für die Europäische Union. Diese Menschen kommen alle über Griechenland und werden dort registriert. Es ist jederzeit möglich zu wissen, wie viele Menschen ankommen. Jede_r Einzelne wird erkennungsdienstlich behandelt und ihre Daten im EURODAC-System gespeichert. Fast niemand möchte dort bleiben. Systemische Mängel im Asylsystem in Griechenland verbieten Zurückschiebungen. Die Flucht geht weiter über Mazedonien nach Serbien. Bis vor kurzem haben die meisten Flüchtlinge danach versucht illegal nach Ungarn zu gelangen und von dort aus weiter zu kommen. Seit kurzem wird eine illegale Einreise nach Ungarn aber mit mehrjähriger Haftstrafe pönalisiert. Die Haft darf nicht im Inland abgesessen werden. Das bedeutet Abschiebung bei illegaler Einreise. Damit wird de facto die Möglichkeit um Asyl anzusuchen unterbunden und geltendes Recht gebrochen. Es ist in Ungarn auch sehr wahrscheinlich, dass Asylsuchende während des gesamten behördlichen Verfahrens inhaftiert werden. Außerdem besteht das reale Risiko einer (Ketten)Abschiebung. Das Selbsteintrittsrecht ist daher zwingend auszuüben, das heißt ein EU-Staat muss in solchen Fällen das Asylverfahren eines Flüchtlings selbst durchführen. Denn kein Mensch darf dieser Gefahr ausgesetzt werden. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen fordern schon lange Abschiebungen nach Ungarn wegen systematischer Mängel auszusetzen. In Österreich wurden stattdessen im August Dublin-Verfahren vorrangig durchgeführt.
Mit 21.08.2015 hat Deutschland beschlossen, ungarische Dublin-Verfahren für syrische Staatsangehörige auszusetzen. Offenbar wird anerkannt, dass Ungarn Flüchtlinge nicht menschenwürdig aufnimmt und keine fairen Verfahren durchführt. Es wäre aber dann gleichheitswidrig Flüchtlinge anderer Nationalität nach Ungarn zurückzuschieben. In Österreich werden dennoch Rückschiebungen nach Ungarn durchgeführt. Die Judikaturlinie ändert sich zwar gerade, aber die Behörden kommen den Gerichten zuvor. Normalerweise hat eine Beschwerde gegen eine Zurückweisung nach Ungarn keine aufschiebende Wirkung, das heißt, dass eine bescheidmäßig angeordnete Zurückschiebung durchführbar ist. Bis einer Beschwerde gerichtlich die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, vergehen Wochen. Prinzipiell ist zwar binnen sieben Tagen darüber zu entscheiden, das Bundesverwaltungsgericht schafft die Einhaltung dieser Frist aber personell nicht. Die Verfahren dauern ohnedies schon unerträglich lange. Dadurch wird auch der Familiennachzug verzögert. Menschen bleiben in Lebensgefahr.
Anfang September hat eine Welle der Solidarität die Grenze zwischen Ungarn und Österreich geöffnet. Geplant war der Durchtransport der Menschen nach Deutschland. Inzwischen öffnet Deutschland die Grenzen aber nur relativ willkürlich. Mittlerweile kommen kaum noch Menschen über Ungarn. Stattdessen versuchen sie von Serbien über Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland zu gelangen. In Serbien werden sie mit Bussen an die Grenze gebracht. Dort heißt es in kroatischen vergitterten Polizeiwägen stundenlang warten. Es gibt keine Registrierung, sondern Bustransfers an die slowenische Grenze. Am 18.09.2015 hat die slowenische Polizei am Grenzübergang Harmica Tränengas gegen flüchtende Kinder und Erwachsene eingesetzt. Am Grenzübergang Obrežje warten seither hunderte Menschen auf Busse durch Slowenien. Frauen und Kinder, sowie Syrer werden prioritär durchgelassen. Flüchtlinge anderer Herkunft kritisieren diese rassistische Ungleichbehandlung. Unterstützer_innen werden mit Verwaltungsstrafen schikaniert. Der Vorwurf lautet „Verweilen am Grenzübergang“. Tatsächlich brauchen die Flüchtlinge vor Ort Hilfe. Alle sind müde. Es ist kalt und nass. Die Menschen bitten darum, dass die Grenze geöffnet wird. Sie wollen Taxis nehmen und selbst bezahlen. Auf viele wartet Familie. (Interview dazu)
Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade jetzt die Verbindungen unterbrochen werden, anstatt ausgebaut. So entstehen Bilder, die die xenophobe Stimmung in Europa noch anheizen. Es heißt, es wären zu viele Flüchtlinge. Europa schaffe es nicht, die Hilfesuchenden aufzunehmen. Eine chaotische und gefährliche Situation. Rufe nach Verschärfungen im Asylsystem und nach mehr Kontrolle werden laut. Asylheime brennen. Menschenrechte werden verletzt. Durch illegale push-backs an den Grenzen, durch Einsatz von Gewalt gegen Hilfesuchende, durch Repression gegen Unterstützer_innen. Unser aller Rechte werden gebrochen, wenn europäische Polizei Krieg gegen Flüchtlinge an den neu errichteten Grenzen führt. Grenzen töten Menschen. Die Zäune werden dichter. Die Flucht wird gefährlicher. Einundsiebzig Menschen ersticken in einem Lastwagen. Nur wenige sind identifiziert. In den Herkunftsländern warten die Liebsten auf Nachricht. Vielleicht werden sie nie eine bekommen.
Die Grenzen sperren uns alle ab. Stau in Innsbruck, Salzburg, Linz und in jedem Dorf das an Deutschland grenzt. Zeltdörfer in Nickelsdorf und vor Freilassing. Schließlich der Kälteeinbruch. Europa steht still und hat sich durch xenophobe Politik und strukturelle Gewalt selbst in einen Ausnahmezustand manövriert. Ein Zustand, der ein Mehr an Entrechtung rechtfertigt.
In Österreich wird die Einrichtung von Schutz auf Zeit angedacht. Prinzipiell wird subsidiärer Schutz, Non-Refoulement, also das Verbot von Abschiebungen in Länder, wo Tod und/oder Folter/unmenschliche beziehungsweise erniedrigende Bedingungen drohen ohnedies nur auf Zeit erteilt. Dies mit dem Hintergedanken, Menschen gegebenenfalls wieder in ihre Herkunftsländer zurückschieben zu können, wenn sie sich nicht außergewöhnlich gut integrieren. Asyl sieht einen dauerhaften Schutzstatus vor. Die Ministerin fordert entweder etwas Bestehendes oder einen Bruch mit geltendem Recht. Will sie aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK austreten? Oder macht sie Stimmung? Orban brüstet sich damit, dass Ungarn unter seiner Herrschaft „flüchtlingsfrei“ werde. Erinnerungen, die wir niemals vergessen wollten, werden wach.