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SYRIZA und die Flüchtlingslager

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Ein Interview mit einer Aktivistin die seit 14 Jahren Flüchtlingsarbeit in Griechenland leistet.

 

Anschließend haben wir einen Text der Gruppe Clandestina Network aus Griechenland übersetzt.

 

(Einmal mehr) die Wahrheit ist bitter, aber sie muss ausgesprochen werden

Viele progressive Leute in Griechenland glauben tatsächlich, dass die Haftlager für Flüchtlinge von SYRIZA geschlossen wurden und dass es keine Toten in der Ägäis mehr gibt. Sie glauben, das Land sei von Flüchtlingen überflutet doch die gastfreundlichen Griechen sind trotz der Wirtschaftskrise helfend zur Stelle.

Anfang Juli 2015 versuchte die griechische Regierung die öffentliche Aufmerksamkeit vom von der Wirtschaftskise auf die Flüchtlingskrise zu lenken. Sie gaben bekannt, dass seit Beginn des Jahres über 77 000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen seien. Die Regierung wählte den demokratischen Weg und hielt die Bevölkerung dazu an, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Sie vernachlässigten es zu erwähnen, dass in der gleichen Zeit, die gleiche Anzahl an Flüchtlingen die „West-Balkan“- Route gewählt hatte und somit die Grenze nach Ungarn passiert hatte. Anfang Juli blockierten 1500 Flüchtlinge für eineinhalb Tage den internationalen Schienenverkehr zwischen Thessaloniki und Belgrad an der mazedonischen Grenze. Niemand berichtete darüber und auch in Serien wurde lediglich von „Bauarbeiten“ gesprochen.

Anfang August berichtete die Regierung, dass allein im Juli 55 000 Flüchtlinge aus der Türkei gekommen waren. Sie verloren kein Wort darüber, dass täglich etwa 1500 Flüchtlinge aus Griechenland ausreisen.

Mitte August, als sich Neuwahlen abzeichneten, begann SYRIZA sich wieder für ihre radikalen Ansichten zu begeistern. Die umstrittene Goldmine auf Chakidiki wurde vorübergehend geschlossen und das Flüchtlings- bzw. Immigrationsthema wurde neu aufgerollt. Natürlich, wenn dein Gegner faschistische Rhetorik wählt, musst du ein Antifaschist sein, ist es nicht so? Das „Massenbevölkerungs- Management“ der Menschen, die Entmenschlichung und Schikanierung von Immigrant*Innen/Flüchtlingen und der Umgang mit entrechteten Menschen im westeuropäischen Charity- Stil sind weitere Gesichter von Rassismus. Die Entscheidung, Flüchtlinge vom Pedion tou Areos- Park in ein „offenes Camp“ in Athen zu übersiedeln und der Einsatz der Fähre Ev. Venizelos um überfüllte Inseln zu entlasten, wird als antirassistische Humanität dargestellt. Dies führte lediglich dazu, dass Mazedonien am 21. August die Grenzen dicht machte. Am selben Tag berichteten Journalisten, dass im letzten Monat 39 000 hauptsächlich syrische Flüchtlinge den Weg durch Mazedonien antraten.

Während in Griechenland von humanitärer Hilfe gesprochen wird, muss erwähnt werden, dass 70 % des Einkommens der Fährunternehmen in der Ägäis durch syrische Flüchtlinge gesichert wurden. Und das in einer Zeit, in der SYRIZA nach langen EU- Verhandlungen ein Kürzungspaket akzeptiert hat welches sich gegen das eigene Referendum richtet und massive Steuererhöhungen sowie Pensionskürzungen (außer im Polizeiapparat) vorsieht.
Im Juni und Juli wurden auf griechischen Inseln Zimmer zu überhöhten Preisen an syrische Flüchtlinge vermietet. Während die Banken landesweit geschlossen blieben, brachten Flüchtlinge Geld ins Land, kauften Fährtickets und bezahlten für Zimmer, Essen, Fluchthelfer, Schlafsäcke, Zelte oder … Fahrräder. Ja, Fahrräder. An der Idomeni/Gevgelija- Grenze zahlten Flüchtlinge bis zu 225 Dollar für gebrauchte Fahrräder um damit, innerhalb des 72 Stunden- Kurzzeitasyls in Mazedonien, das Land zu durchqueren. An der serbischen Grenze wurden die Fahrräder wieder eingesammelt und wieder und wieder verkauft. Die gefährliche Route entlang von Schnellstraßen und Zugverbindungen kostete im April das Leben von 14 Afghanen und Somalis, sie wurden von einem Zug erfasst.

Mittlerweile benutzen Flüchtlinge in Mazedonien öffentliche Transportmittel. Täglich gehen zwei Züge von Gevgelija durch Mazedonien. So verlassen täglich etwa so viel Menschen Griechenland wie ankommen. Darüber spricht aber niemand. Wir hören immer wieder, dass Griechenland die größte Last aller EU- Länder auf sich nimmt, aber statt dem faschistischen Hass, ist die Lüge diesmal mit demokratischer Philanthropie kombiniert. Nach dem Massensterben im April, wo über 1000 Flüchtlinge den Tod im Mittelmeer fanden, führt die derzeitige Hauptroute durch den „West Balkan“. Täglich versuchen an die 1500 Menschendurch die serbischen Wälder nach Ungarn zu gelangen und müssen dabei den neuen Grenzzaun überwinden. Griechenland ist nur eine Passage dieser Route, doch versuchen einige daraus finanzielles und politisches Kapital zu schlagen. Aktuell sieht man wie weit die griechische Hilfsbereitschaft reicht wenn man die Räumung des Pedion tou Areos- Parks in Athen betrachtet. Dort campierten hauptsächlich syrische Flüchtlinge um an ihrer Weiterreise zu planen. Soziale Zentren und Gruppen aus besetzten Häusern füllten die Lücke der Inaktivität der Regierenden und versorgten die Flüchtlinge. Der Park wurde geräumt und das besetzte Haus Centaurus, in welchem Kleidung und Essen gesammelt wurden, wurde von der Polizei angegriffen. Die Flüchtlinge wurden an eine weniger zentral gelegene Stätte verfrachtet.

 

Entwicklung des griechischen Staats im Umgang mit Flüchtlingen

1. Die alte Schule des Kapitalismus. Seit Beginn der 90er bis zu den Olympischen Spielen 2004 wurden hauptsächlich albanische Flüchtlinge als Billigarbeiter*innen brutal ausgebeutet.
2. Die Unsichtbaren. Menschen fliehen vor dem Krieg gegen den Terror und vor den „structural adjustment“- Plänen des IMF in Afrika. Zwischen 2002 und 2010 finden sie sich in einer „Drehtüre“ wieder, in einer Menschenschmuggel Industrie die Milliarden abwirft.
3. In Zeiten der Wirtschaftskrise werden die Geflüchteten zu Sündenböcken. Ein innerer Feind wurde geschaffen um den Aufstand sozialer Bewegungen gegen die Regierenden zu bremsen. Die Fremdenfeindlichkeit explodierte und erschuf eine starke faschistische Bewegung.
4. Nach dem SYRIZA- Sieg. Zurück in die Unsichtbarkeit, begleitet von einer demokratischen Philanthropie.
SYRIZA: Alles ruhig an der solidarischen Front
Kurz nach SYRIZAs Wahlsieg kam es im Flüchtlingshaftlager von Amygdaleza zur Revolte. Ein Flüchtling hatte dort Selbstmord begangen nachdem er nach 18 Monaten entlassen wurde und kurz darauf wieder eingesperrt wurde. Am Tag zuvor töte sich ein Flüchtling in einer Polizeistation in Thessaloniki. Die zwei Selbsttötungen und der Fall eines23 jährigen Afghanen der im gleichen Lager an medizinischer Unterversorgung starb, veranlassten den Minister für Öffentliche Ordnung, Yannis Panousis, die Schließung der unrühmlichen Lager innerhalb von 100 Tagen zu versprechen. Somit waren die Gegner besänftigt, das Versprechen wurde nie gehalten.
Ein weiterer Flüchtling, der 21 jährige Diabetiker Mohamed aus Guinea, starb am 27 Februar in Polizeigewahrsam, wieder ein Opfer medizinischer Unterversorgung.
Am 17. März gingen in Korinth 300 Flüchtlinge in Hungerstreik.
Am 24. März traten Gefangene Flüchtlinge in Paranesti 3 Wochen lang in Hungerstreik.
Am 14. April versucht ein minderjähriger Flüchtling in Vathy Samos Selbsmord zu begehen. Er legt Feuer und schneidet sich die Pulsadern auf.
Am 13. Juli werden im Anygdaleza- Lager als Protest gegen monatelange unmenschliche Unterbringung Matratzen in Brand gesteckt.
Am 24. Juli, als tausende syrische Flüchtlinge in Kara Tepe auf Lesbos gestapelt wurden und nachwievor werden, starb ein weiterer Flüchtling an medizinischer Unterversorgung. Daraufhin folgten große und kleinere Revolten auf Lesbos.
Am 10. August wurden auf Kos Schlagstöcke und Feuerlöscher gegen einen Flüchtlings- Protest eingesetzt. Die Flüchtlinge, die in einem Fußballstadion untergebracht waren, wurden anschließend auf ein Schiff gebracht das weiter abseits der Touristenplätze lag.

 

Tod im Meer
Mehr als 70 Menschen sind 2015 in der Ägäis ertrunken. 2007 lag die Zahl bei 184 Menschen, es war das tödlichste Jahr. In der Öffentlichkeit wurde das damals kaum diskutiert, so wurde auch der ProAsyl- Bericht „The truth may be bitter, but it hast o be told“ weitgehend ignoriert. Darin wurden Folter und tödliche Push- Backs der Hafenpolizei dokumentiert.

 

Die Zahlen der Asylsuchenden der letzten Jahre
Der Rückgang der Anzahl der Sans Papiers seit der kapitalistischen Attacke, genannt „Krise“, bis zum neuen Anstieg der Einreisen durch den Syrien- Krieg, lag bei 80%. 2008 hatten mehr als 120 000 Menschen die Grenzen überwunden. 2012 waren es 40- 50 000 und nach der Aktion „Xenios Zeus“ in Städten und der Operation „Aspida“ (Schild) in der Region Evros fiel die Zahl unter 20 000. Die Anzahl der Papierlosen ist also schon vor den Polizei- Aktionen stark zurückgegangen. Auch die Armutsflüchtlinge aus Albanien blieben aus und 180 000 der 600 000 Albaner*innen verließen während der Krise Griechenland. Der Grund für die sinkende Zahl der Flüchtenden lag also nicht in den geschaffenen „Anti- Immigrations- Richtlinien“ sondern in der kapitalistischen Krise.
Es muss betont werden, dass trotz des Drängens von links, keine Wende in der griechischen Flüchtlingspolitik bewirkt wurde. Seit 2011 gab es auf europäischer Ebene gerichtliche Entscheidungen gegen den griechischen Umgang mit Flüchtlingen. Offiziell werden nach dem „Dublin 3“- Abkommen europaweit keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland zurückgeschoben. Die Begründung ist die katastrophale Lage der Flüchtlinge in Griechenland wie etwa Haftumstände oder schwere Mängel im Asylsystem.
Die Anzahl der Flüchtlinge steigt 2014 wieder an und findet 2015 ihren Höhepunkt. Wie aber weiter oben bemerkt, reist die Mehrheit gleich weiter. Sehr wenige Menschen suchen um Asyl in Griechenland an und noch weniger bekommen einen Flüchtlingsstatus.
Nach den Daten von Eurostat wurden in Griechenland 2013 13.080 Asylanträge abgegeben. Davon waren 430 positiv, 255 bekamen Flüchtlingsstatus, 175 subsidiären Schutz und 70 wurden aus humanitären Gründen aufgenommen. EUweit gab es 2013 435 000 Asylanträge.
2014 lag die Zahl der Asylanträge in Deutschland bei 203.000 und in Schweden bei 81.000. Im gleichen Jahr in Griechenland wurden 7.665 Anträge geprüft. 5.785 wurden zurückgewiesen, 805 Menschen bekamen Flüchtlingsstatus, 295 subsidiären Schutz und 775 bekamen Asyl.
In den ersten drei Monaten 2015 gab es europaweit 185.000 Anträge. Etwa so viel wie im letzten Viertel 2014 aber 86% mehr als im ersten Viertel des Vorjahres. 302.415 Anträge wurden heuer zwischen Jänner und Juli in Deutschland abgegeben. In der Türkei finden etwa 1,8 Millionen Flüchtlinge „Schutz“. Im Libanon eine weitere Million und selbst in den Irak sind 200.000 Menschen geflüchtet. In den ersten 3 Monaten dieses Jahres gab es in Griechenland lediglich 2.610 Antragstellungen.

 

Die Rückkehr der tödlichen Push- Backs
Viele hatten gehofft, dass mit SYRIZA das Ende der Push- Backs in der Ägäis kommt. Es gibt jedoch aktuelle Beweise dafür, dass es weiterhin Attacken gegen Flüchtlingsboote in der Ägäis gibt. So wurden etwa Boote angestochen und Motoren abmontiert. In den letzten Wochen gab es in der Ägäis vier Notrufe von Flüchtlingsbooten. Die Menschen berichteten von Attacken vermummter Spezialkräfte auf offener See. Ihre Boote wurden manövrierunfähig gemacht und begannen zu sinken. Anschließend wurden sie von der türkischen Küstenwache in Sicherheit gebracht. Zwischen dem 26. Juli und dem 1. August gab es Attacken nahe Lesbos, Samos und Chios. Hier Links zu den einzelnen dokumentierten Fällen.

 

Viel Geld
Zwischen 2007 und 2013 hat Griechenland 374 Millionen Euro aus dem EU- Topf „SOLID“ (Solidarity and Management of Migration Flows Program) bekommen. Von diesem Geld wurden 331.182.735 Euro in die Hände der Polizei gegeben. 162 Millionen verschwanden undokumentiert. Zu jener Zeit bekam die Polizei für jeden inhaftierten Flüchtling 100 pro Tag. Der tatsächliche tägliche finanzielle Aufwand liegt bei 1,5 Euro!
Der Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF) wurde für die Zeit 2014- 2020 anberaumt. 3,137 Milliarden Euro stehen in 7 Jahren zur Verfügung. Die EU will damit ein effektives Immigrations- und Asylmanagement finanzieren. Vor kurzem wurde das Budget auf 9,2 Milliarden erhöht, wovon Griechenland 460 Millionen zur Verfügung stehen.
Zusätzlich ist der Profit aus dem Menschenschmuggel beträchtlich. Jährlich fließen hier laut der semi- offiziellen Schätzung von www.balkananalysis.com um 2,2 Milliarden Euro.

 

Der zweite Teil der Übersetzung folgt…

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